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Wagner-Rallye 2004 Pressespiegel

Frankfurter Rundschau vom 11.05.2004

»In der Ruhr liegt die Kraft«

Christoph Schlingensief veranstaltet eine Ruhrpottrallye - dabei ist er schon in Bayreuth, wo er den "Parsifal" inszeniert.

Die sympathische Ruhrpott-Omma mit Gelsenkirchener Minipli und wachem Blick weiß Bescheid: "Der war gestern im Fernsehen", erklärt sie ihrem Enkel, mit dem sie vor dem Berliner Platz in Mühlheim an der Ruhr steht. "Der schickt so komische Autos los..."

Das stimmt auch. Regisseur Christoph Schlingensief, selbst ein stolzes Ruhrpottkind, hat im Rahmen der Ruhrfestspiele und als Auftakt für sein diesjähriges Bayreuther Gastspiel eine Autorallye durch das Ruhrgebiet inszeniert. Zehn "Wagner Rallye Action Teams", bestehend aus je zwei Personen in Rennfahrer-Overalls und mit eigenen, durch Gaffatape-Rallyestreifen verzierten PKW, düsten drei Tage lang auf den vollen Straßen zwischen Recklinghausen, Bochum und Essen umher. Jeden Tag mussten die Teams 20 Aufgaben lösen: Bei der DEKRA in Essen einen unwilligen Mitarbeiter über ein Gesetz zur Folienbeklebung auf Sicherheitsglasscheiben ausfragen. Oder das Viech im Oberhausener Zoo ausfindig machen, das einen Namen aus Parsifal trägt. Oder sich vor dem Recklinghausener Rathaus kurz mal in den Springbrunnen (kein Trinkwasser) werfen.

"Wir bringen Wagner zurück auf die Straße" tönt Schlingensief dazu per schnurlosem Mikrophon bei den täglichen Rallye-An- und Abpfiffen von der Rennleitungs-LKW-Bühne. Er trägt einen roten Overall, wie alle Mitglieder der Rennleitung, die Fahrer und Fahrerinnen tragen blaue, die Techniker und Technikerinnen gelbe. Die Overalls sind über und über mit Fake-Sponsoren-Logos aus Stoff beklebt: "Tannhäuser 11", "Parsifal 02", oder "FvH 12", die "Freifrau von Heidburg". Und es gibt große und kleine Aufkleber - unter "Wagner Rallye Action Team" prangt ein stilisiertes, mürrisches Wagner-Konterfei, aus dessen Kopf Flügel wachsen, darunter kreuzen sich zwei karierte Rennstart-Flaggen.

Das Auffälligste an den teilnehmenden Wagen ist jedoch ein Hörereignis: Das Deutsche Filmorchester Babelsberg hat für die Rallye ein Medley aus sieben Wagner-Opern eingespielt. Teile aus den Meistersingern von Nürnberg, der Götterdämmerung, Parsifal, Rheingold, der Walküre, Rienzi und Tannhäuser hat es Stimme für Stimme aufgenommen. Auf einzelne Spuren wurden die hohen und die tiefen Holzbläser, die Hörner, die Trompeten, die Posaunen, Schlagzeug, Harfe, die ersten Geigen, die zweiten Geigen und Bratschen, und die Celli zusammen mit den Kontrabässen gebannt. Jedes Auto bekam eine dieser Orchesterstimmen als CD für das Rennen zugeteilt. Also quäkt Wagner aus dem einem Megaphon ähnlichen Hochdrucklautsprecher, der auf jedem Wagendach befestigt wurde, während der gesamten Fahrt über Stadt und Land. Die Synchronität der Stimmen ist einerseits von den Fahrern abhängig, die zu ausgemachten Zeiten den CD-Spieler anschalten müssen, andererseits von den Technik-Tücken der Abspielgeräte.

Wagner-Laustprecher

So entsteht bei den Zusammentreffen der Autos ein blechernes Wagner-Lautsprecherorchester, erweitert um rasante Motorengeräusche, dirigiert vom Komponisten und musikalischen Supervisor Max Knoth. Der Berliner zählt zwei Mal täglich (bei jedem Etappenstart) die Musikrennwagen ein, um ein möglichst synchrones Abspielen des Medleys zu erreichen. Meist kommt nur eine Art sympathisch-trashiger, laut tönerner Wagner-Kanon dabei heraus. Aber nach jedem Start rasen die Wagen ohnehin schnell voneinander weg, um ihre Aufgaben vor den anderen zu lösen - Rallyefahrer sind ehrgeizig. Auch wenn es sich um ein 100 Dezibel-Hochkultur-Massensport-Mix-Rennen handelt.

Die Teilnehmer kommen größtenteils aus dem Nachbarrevier. Mit einem alten Audi rückt das Team 3 an, zwei Bochumer, Bernd und Gordon, beide um die 30. Bernd ist IT-Berater und hat sich für die turbulenten Wagner-Tage Urlaub genommen, Gordon hat Theaterwissenschaften studiert und mag Schlingensief-Inszenierungen. Jetzt ist er selber Teil einer solchen geworden. Die beiden heizen über die Pott-Pisten wie Jutta Kleinschmidt, lösen Aufgaben, telefonieren per Freisprechanlage mit ihren "Telefonjokern" (ist erlaubt), und lassen sich von den lauten Hörnern aus dem Lautsprecher auf ihrem Dach nicht irritieren. "Das hört man nach einiger Zeit überhaupt nicht mehr", sagt Gordon und schaltet den CD-Spieler zur verabredeten Stunde brav wieder auf "Repeat". Die Ruhrgebietsbewohner hören's noch. "Nur wenige beschweren sich und wollen, dass wir leiser machen." Was natürlich nicht in Frage kommt. Schon aus künstlerischen Gründen.

Denn das ist ein typisches Schlingensief-Begehr. Außer Wagner "zurück auf die Straße" zu bringen, möchte er auch die Öffentlichkeit mit den geliebten und gehassten Medien inszenieren: Von Anfang an waren bei der Rallye genug Journalisten am Start, um jedem Team eine eigene Berichterstattung zu garantieren. Das ARD-Morgenmagazin hat die Gunst der frühen Stunde genutzt, um live zu schalten, Zeitungen und Radiosender haben sich angemeldet, dazu die Schlingensief-eigene Dokumentation. Absichtliche Zuschauer hatte die Rallye dagegen eher weniger: Am ersten Tag wussten es - trotz Einbindung in die Ruhrfestspiele - noch nicht genug Menschen, am zweiten Tag regnete es junge Hunde und Katzen, der dritte Tag ist Fußballsamstagnachmittag, und das im Pott.

Aber das macht Schlingensief natürlich nichts. Er funktioniert vor 30 Leuten genauso wie vor 3000 und hampelt tagtäglich für seine Wagner-Attitude überzeugend und charmant zusammen mit Freunden und Lieblingsschauspielern vor dem Bühnen-LKW herum und ehrt die Sieger (Team 3 hat einen ehrenhaften dritten Platz ergattert).

Im Rhein liegt der Ring

Neulich hatte Schlingensief in einer TV-Talkshow davon gesprochen, was er in Bayreuth alles nicht machen darf, weil die Wagner-Familie ihre alteingesessenen Griffel drauf hat. Hier im Pott darf er alles. Im Rhein liegt der Ring. In der Ruhr liegt die Kraft, so lautet das Motto.

Dass er, neben dem Show-Effekt des eher süßen Spektakels und der eher milden Wettbewerbs-Parodie, auch noch etwas Interessantes mit der Wagner-Musik anstellt, sie nämlich entzerrt, ihr durch das Aufsplitten und Durch-bessere-Flüstertüten-Jagen eine ganz neue Interpretation anheim stellt, ihr sportlich-spielerisch das Pathos und die Schwere klaut, ohne sie wirklich zu blamieren, das kriegt man nur am Rande mit. Das ist einer der Schlingensiefschen Nebenschauplätze im Spiel mit der Öffentlichkeit. Fast könnte man ihn übersehen.


Jenni Zylka


Start frei für die Ruhrpottrallye: Schlingensief im klassischen Formel-1-Outfit. (dpa)


Frankfurter Rundschau online



Stand 17.05.2004 11:49
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