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Wagner-Rallye 2004 Pressespiegel
NDR Kultur vom 05.05.2004
»Christoph Schlingensiefs "Wagner-Rallye" im Rahmen der Ruhrfestspiele«
Nordrhein-Westfalen ist ein Bundesland der Festivals. Zur momentan noch stattfindenden "MusikTriennale" in Köln wird sich bald die "RuhrTriennale" gesellen. Und seit 1. Mai haben die "Ruhrfestspiele" in Recklinghausen ihre Pforten geöffnet. Ihr neuer Intendant ist Frank Casdorf. Er hat sich vorgenommen, alte, von seinem Vorgänger Hansgünther Heyme festgeklopfte Strukturen aufzubrechen und umzukrempeln. Gleich zum Auftakt seiner Festspiele hat Casdorf für ein Spektakel gesorgt und Christoph Schlingensief eingeladen. Mit seiner "Wagner-Rallye" sorgt er derzeit im Ruhrgebiet für Unruhe, eine Schnitzeljagd, begleitet von den Klängen Richard Wagners:
Gestern Morgen auf dem grünen Hügel des Recklinghäuser Ruhrfestspielhauses: In knallrotem Rennfahrerdress gibt Christoph Schlingensief das Startzeichen zu seiner "Wagner-Rallye". Zahllose Fernsehteams und die beiden Ziegen "Parsifal" und "Lohengrin" beobachten den Auftakt dieses exzentrischen Rennens. Bis Sonntag fahren zehn Teams, jedes auf eigenem Weg, kreuz und quer durch die Städte des Ruhrgebiets. Auf dem Dach ihrer Wagen sind Lautsprecher montiert, aus denen die Werke Richard Wagners tönen, aufgeteilt allerdings in einzelne Orchesterstimmen. Das Rennen gleicht einer Art Schnitzeljagd, bei der skurrile Fragen gelöst werden müssen. Auch gilt es, Aufgaben zu bewältigen wie etwa den Kauf von 50 Kilo Pferdegehacktem in einer bestimmten Metzgerei in Castrop-Rauxel. Seine "Wagner-Rallye" sieht Christoph Schlingensief als eine soziale Plastik in der Nachfolge von Josef Beuys:
”Hier bewegen sich eben Einzelteile in einem großen Ganzen, der Betrachter ist Teil dieses Ganzen. Das hat mich eigentlich in meinen Aktionen auch immer schon interessiert, dass ich ja auch versuche, den Wagner aus dem elitären Holzschuppen rauszuholen und dann mal eben auf die Straße zu bringen.”
Natürlich kommt bei der "Wagner-Rallye" kein vernünftiger Klang, sondern eher eine Kakophonie zu Stande. Inspiriert wurde sie von einer Begebenheit, die der Literat und Regisseur Alexander Kluge recherchiert hat. Im Wien des Jahres 1945 befahl NS-Gauleiter Baldur von Schirach die Aufführung von Wagners "Götterdämmerung" – als letzte Botschaft des untergehenden Dritten Reiches. Die Musiker wurden hierzu in Gruppen auf die zur Verfügung stehenden Luftschutzkeller verteilt. Schließlich gelang es im ständigen Bombenhagel, einzelne Teile der Oper durchzuspielen und sogar zu filmen.
Die "Wagner-Rallye" ist nicht etwa ein hochnäsiger oder provokanter Gruß an eine Nation, die mit ihrer Hochkultur immer weniger anfangen kann. Schlingensief will vielmehr eine neue Art von Ruhrgebiets-Identität stiften. Dabei wird er langsam zum Wagner-Spezialisten, schon bevor in diesem Sommer sein "Parsifal" in Bayreuth Premiere hat. Eine Salami habe er immerhin schon mit Klängen des Meisters beschallt. Und die habe danach eindeutig besser geschmeckt.
”Da ist was dran an der Musik. Man muss nur mal den Wagner mal woanders einsetzen. Wenn der nur zwei Monate in Bayreuth irgendwie zur Vollendung kommen soll, das ist mir mit meinem Denken zu eng.”
Ein Beitrag von Markus Bruderreck
(Sendetermin: 7. Mai 2004, 6.45 Uhr)
NDR Kultur
Stand 17.05.2004 14:08
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